Südafrika 2.0

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Am 21.04.2022 passierten wir die Grenze zu Südafrika. Dieses Ankommen war so anders und versöhnlich zugleich. Wenn ich mich daran zurück erinnere, wie unsicher wir uns im Januar fühlten, als unser Flieger hier landete. Wir waren misstrauisch, ängstlich und alles andere als frei. Und jetzt, fast 4 Monate später freuten wir uns auf Südafrikas vielseitige Landschaften, auf Wanderwege, auf die tollen Campingplätze und die große Auswahl in den Supermärkten. Wir hatten in der Zwischenzeit so viel Vertrauen dazugewonnen und wussten, worauf wir achten mussten, um uns sicher zu fühlen. Es war tatsächlich ein gutes Gefühl wieder hier zu sein…

Die Panorama Route war unser erstes Ziel.

INFO: Die Panorama Route auf der R532 ist etwa 100 km lang und verläuft entlang der nördlichen Drakensberge. Die Route beginnt im südlich gelegenen Sabie und führt über Graskop bis hin zum berühmten Blyde River Canyon.

Der erste Eindruck war ziemlich spektakulär: links und rechts von uns ragten tausende Nadelbäume in die Höhe und es fühlte sich an, als wären wir auf ner Spazierfahrt durch den Schwarzwald. Dass in Südafrika mal ein Gefühl von Heimat aufkommen würde, hätte wohl niemand von uns erwartet… Die Sonne schien, breite Flüsse bahnten sich ihren Weg durch die hügelige und bergige Landschaft. Schnell war das flache Botswana Geschichte und irgendwie konnte ich mir jetzt vorstellen, wie es sich wohl anfühlen wird, nach Hause zu kommen. Überwältigend!

Am Blyde River Canyon wartete nach WOCHEN die erste Wanderung auf uns. Was für ein Privileg, auf angelegten Trampelpfaden zu schlendern und dabei von keinem wilden Tier gefressen zu werden! Ist uns ja zuvor soooo oft passiert, Hahaha… (Rückblickend habe ich dann erfahren, dass in der Region immer wieder Leoparden gesichtet wurden – ähhh FUCK)
Wir liefen den 6km langen Leopard Trail (jetzt weiß ich auch, wo dieser Name herkam), der durch mystische Wälder, an wilden Bächen und am mächtigen Blyde River Canyon entlang führte.

INFO: Der Blyde River Canyon gilt mit 26km Länge und bis zu 800m Tiefe als drittgrößter Canyon der Erde. Er besteht hauptsächlich aus rotem Sandstein und befindet sich nordöstlich von Johannesburg.

Über 3h marschierten wir bergauf, bergab durch ein unfassbar schönes Panorama, mit Blick auf das uralte, geologische Wunder namens „three Rondavels“.

Und selbstverständlich kippte die Stimmung, als die vereinbarte 3h Grenze um 60 Sekunden überschritten wurde. Ab diesem Moment ging meine Laune rasant bergab und schon kurz darauf folgte das erste nervige „Wielang geht’s noch!?“. Worauf Pascal mehrmals verständnisvoll und motivierend antwortete: „Nicht mehr lange, wir haben’s gleich.“… Was es nicht unbedingt besser machte. Als er merkte, dass der Vulkan kurz vorm überlaufen war, begann er mit dem Überlebenssprint und hielt einen dauerhaften Sicherheitsabstand von mindestens 50m zu mir (nach nem dreiviertel Jahr auf engstem Raum, wussten wir ziemlich gut, was in solchen Momenten zu tun war). Erst am Ziel trafen wir uns wieder und zu unserem Glück stand da ein voll besetzter, französischer Touri Bus, der uns die letzten Meter mitnahm. Gott segne den Kinderbonus!

Wir steuerten die Bourke’s Luck Potholes an. Der Treur River mündete an dieser Stelle in den Blyde River. Durch Auswaschungen und die Rotation von Steinen in Strudeln, wurden tiefe Löcher in den roten Sandstein geschliffen. Wir entdeckten ein Naturwunder nach dem anderen und kamen aus dem Staunen nicht heraus.

Abschließend fuhren wir zum Berlin Wasserfall (80m) und zum Lissabon Wasserfall (94m), die wirklich sehenswert waren!
INFO: Die Wasserfälle haben ihre Namen von Bergleuten, die sich während des Goldrausches von Europa nach Südafrika wagten und jeden Wasserfall in der Region nach ihren Heimatstädten benannten.

Die Panorama Route war landschaftlich einzigartig schön und sehr empfehlenswert. Leider kostete JEDE Sehenswürdigkeit Eintritt.

Auf diese ersten, unvergleichbar schönen Eindrücke folgte ein Werkstattmarathon, der es in sich hatte. Heidi gab urplötzlich beim Beschleunigen ein dröhnendes Geräusch von sich und der ganze Fahrerraum vibrierte. Scheiße. Wir steuerten direkt ne VW Werkstatt an. Alles begann mit einem KFZ-Mechaniker, der sich nicht traute, Heidi auf die Hebebühne hochzufahren. WHAT?! Erst als Pascal ihn ermutigte, sich nicht in die Hosen zu scheißen, juckelte er die Karre widerwillig hoch. Nach 30min sah er, dass der Auspuff nicht mehr an Ort und Stelle saß und eventuell was mit der Kardanwelle nicht in Ordnung war. Okay, wir entschieden uns für ne zweite Meinung.
Es folgte die 2. VW Werkstatt. Dort bestätigten sie die Vermutung des ersten KFZlers und das Mittellager der Kardanwelle musste ausgetauscht werden. Den Austausch machte Werkstatt Nr. 3, die das Teil auf Lager hatte. 5h (!!) dauerte die Reparatur und als wir glücklich vom Hof rollten, kippte die Stimmung direkt, als das Geräusch IMMERNOCH da war. Oh Mann. Nächster Halt: zu nem anderen VW Service, also Werkstatt Nr. 4. Nach Stunden des Wartens fanden sie den „popligen“ Fehler. Der Motor war an einer Stelle aus der Aufhängung gerutscht. Das wars!!! Alter.

Auf diesen Stress musste en Highlight folgen – klar, dass wir uns dafür den Kruger Nationalpark vornahmen, der mit fast 2 Millionen Hektar Südafrikas größtes Wildschutzgebiet war. Wir hatten eine Mission: 4 der Big 5 hatten wir bereits gesehen, aber der Leopard fehlte nach wie vor auf unserer Liste. Vorher würden wir den Kontinent keinesfalls verlassen…

Nachmittags entschieden wir uns für ne kurze Pirschfahrt. (Eigentlich die ungünstigste Zeit, um en Leoparden zu sehen…) Es war ein heißer Tag, die Sonne knallte und wir waren nach einer Stunde schon ziemlich geknickt, weil uns kaum ein Tier begegnete. Richtig frustrierend. Wir fuhren eine staubtrockene Schotterpiste entlang und hofften, dass sich im hohen Gras rechts und links von uns eine Raubkatze verstecken würde. Plötzlich streckte uns direkt vor uns ein vorerst undefinierbares Tier den Allerwertesten zu. Was war das denn? So ne Antilope hatte ich ja noch nie gesehen… Erst, als sich das Tier umdrehte, um uns direkt in die Augen zu sehen, konnten wir unser Glück kaum fassen: es war ein LEOPARD! Oh mein GOOOOTTTTT!!! Wie verrückt war das denn?! Wir waren so aufgeregt, ich stammelte en paar endorphingeladene Worte vor mich hin und Pascal klebte mit offenem Mund vor der Windschutzscheibe (Pan verpennte das Spektakel natürlich). Der Leopard war ziemlich unbeeindruckt von uns, schien unsere Gesellschaft aber auch nicht wirklich geil zu finden. Er fackelte nicht lange und verpisste sich ins hohe Gras. Vor lauter Faszination haben wir kein Foto von dem edlen Jäger, nur diesen einen magischen Moment, den wir wohl nie vergessen werden.
Und da war es, das Ziel, wovon wir geträumt hatten: wir hatten ALLE Big 5 gesehen. Wow! Was für ein krasses Gefühl!

Ab diesem Augenblick war aber auch alle Magie verloren und das Wildlife irgendwie uninteressant. Die”Afrika-Luft“ war komplett raus. Die Safaris waren nichts besonderes mehr. Hinzu kam, dass Pascal einen riesen Hass gegen die anderen Fahrer entwickelte. Er hasste es, wie rücksichtslos sie mitten auf den Wegen stehen blieben, ihre fetten Objektive aus dem Seitenfenster rausdrückten, oder mit ihren peinlichen Ferngläsern Vögel beobachteten, die es überall gab. ÜBERALL. Irgendwann begann er die Südafrikaner zu beschimpfen, die bei jedem scheiß Tier Halt machten: „Als ob ihr noch nie ne Giraffe gesehen hättet, ihr Affen! Schleicht’s eich!“

Als ob das nicht genug gewesen wäre… Nein, nachdem wir die unmöglichen Selbstfahrer hinter uns gelassen hatten, versperrten uns zwei junge Elefantenbullen den Weg, indem sie wild miteinander kämpften. Sobald wir zu nahe kamen, rannten sie mit aufgestellten Ohren auf uns zu… Oh-ohhhh! Also tasteten wir uns langsam vor, legten immer mal wieder den Rückwärtsgang ein und versuchten es weiter. Eigentlich war es so spannend, deren kleine Revier Kämpfe zu beobachten, aber unser Maß war einfach voll… Wir hatten schlichtweg keinen Bock mehr. Es wundert mich bis heute, dass Pascal die beiden Elefanten nicht auch noch angeschnauzt hat. Hahaha!
Ich hab lange darüber nachgedacht, was uns so grantig machte. War es die fehlende Bewegung, oder das immer präsente Gefühl, NIE frei zu sein? Wir waren immer eingezäunt. Auf den Campingplätzen, in den Nationalparks, selbst auf dem Supermarkt Parkplatz. Meine Mama hat mir während unserer Reise dieses Zitat geschickt: „Zahme Vögel reden von Freiheit – wilde Vögel fliegen“. Vielleicht drückte uns Südafrika manchmal in die Rolle des zahmen Vogels…

Zeit für en Tapetenwechsel im Chimp Eden.

INFO: Das Chimp Eden wurde 2006 gegründet und ist das einzige Schutzgebiet für Schimpansen in Südafrika. Ziel des Instituts ist es, Schimpansen zu retten, die den Buschfleischhandel überlebten, verwaist waren, oder auf dem illegalen Haustiermarkt gehandelt wurden. Viele der Säuger wurden vor Nachtclubs, Restaurants, oder in Zirkussen gehalten, wurden missbraucht und stark traumatisiert.
Im Chimp Eden lebten die Tiere in ca. 13 köpfigen Schimpansenfamilien zusammen und halfen sich gegenseitig, ihre traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie lernten, ihre ursprünglichen, natürlichen Interaktions- und Verhaltensmuster wiederzufinden.
Es gab 2 Familien, die in getrennten Bereichen lebten. 7 weitere Schimpansen wurden aufgrund der gescheiterten Resozialisierung in separaten Einzelgehegen untergebracht.

Als wir dort ankamen saßen die Affen gemeinsam auf einem Holzgerüst, das speziell an ihre Bewegungsbedürfnisse angepasst wurde. Sie warteten teilweise angespannt auf ihre 2. Mahlzeit und machten mit Gebärden und lautem Geschrei auf sich aufmerksam (dieser Wesenszug ist auch in mir tief verankert).
Wenige Minuten später brach ein großer Streit bei Familie 2 aus, die etwas oberhalb in einem abgetrennten Gehege lebte. Durch das aufgeregte Geschrei wurde die Neugier von Familie 1 geweckt und sie wussten sofort was zu tun war: GLOTZEN! Alle Schimpansen rannten direkt los, um zu sehen, was da drüben passierte. Alle, außer Martha. Martha saß unbeeindruckt an ihrem Platz auf dem Holzgerüst mit dem Rücken zu uns. Martha wurde 1994 in Ghana geboren und hatte nie gelernt, was es bedeutete, ein Schimpanse zu sein. Sie verstand die sozialen Strukturen innerhalb der Familie nicht, weil sie jahrelang als „Kind Ersatz“ gehalten wurde. Martha konnte mit Messer und Gabel essen. Sie hatte ihr eigenes „Kinderzimmer“ und bekam jeden Abend en Schlafi angezogen. Sie lernte quasi, sich wie ein Mensch zu verhalten. Im Alter von 3 Jahren brachte ihr Besitzer sie in einen Zoo. Da sie sich dort nicht in die Schimpansengruppe integrierte, wurde sie 11 Jahre lang sozial isoliert gehalten.
Es fiel ihr schwer, wie ein Schimpanse zu denken, sie war sehr sensibel und reagierte oft mit Stress, wenn sich Abläufe veränderten. Und genau das passierte, als die Familie zurückkam: Das Oberhaupt der Gruppe war ziemlich aufgeregt von dem beobachteten Streit und sprang wild umher. Er hangelte sich mit aufgestelltem Fell von Liane zu Liane, trommelte wild auf den Boden und schrie. Martha wollte daraufhin, dass er sich beruhigte und schrie ihn an. Das brachte so viel Unruhe in die gesamte Familie, dass auf einmal jede/r mit jedem zankte. Alle schrien wild durcheinander, immer wieder flitzte jemand wütend umher, oder trommelte auf der Brust rum. Es war wie im Film, einfach so beeindruckend zu beobachten. Ich hätte nie erwartet, dass wir so tiefe Einblicke in das Leben und die individuellen Charakterzüge der Tiere bekommen würden. Faszinierend!

Schimpansen sind so schlau wie ein 10 jähriges Kind, ihre emotionale Reife hingegen entspricht der, eines 2 Jährigen. So zeigen sie JEDE Emotion. Sie weinen, wenn sie traurig sind, schreien vor Wut, zeigen pure Zuneigung, Fürsorge, streiten und versöhnen sich. (Sie fühlen all die Gefühle, von der die Gesellschaft erwartet, dass WIR Menschen sie unterdrücken.)
Sie haben ein Seelenleben und können wie wir Menschen Depressionen entwickeln, die sich oft auf ihre körperliche Gesundheit auswirken.
Jessica und Charles wurden in einem südafrikanischen Zirkus zu Showzwecken benutzt. Als sie zu groß wurden, mussten sie jahrelang in einem Käfig in absoluter Dunkelheit leben. Sie wurden schwer misshandelt und waren kurz davor zu verhungern, als sie im Chimp Eden ankamen. Noch heute, 14 Jahre später, hatten die beiden kaum Fell, weil sie es sich ausrissen. Die negativen Erinnerungen an ihre Gefangenschaft saßen so tief, dass sie bis heute seelisch und körperlich darunter litten.
Kein Lebewesen dieser Erde darf so behandelt werden!!! Wenn du in ihre Augen schaust, siehst du, dass da mehr ist, als „NUR“ ein Tier. Du siehst Fürsorge, eine verwundbare Seele und deren Fähigkeit zu lieben. Es ist magisch.

Wir stiefelten weiter zu Familie 2, wo sich die Wogen mittlerweile wieder geglättet hatten. Einer freute sich hier ganz besonders auf unsere Ankunft: Cozy!
Cozy wurde in einem Labor in den USA gezüchtet und von einem Italiener gekauft. In Italien wurde er gezwungen, für Fotos zu posieren und Tricks vorzuführen. Er wurde misshandelt und hat aufgrund wiederholter Schläge auf den Hinterkopf einen Hirnschaden. Nach dem Tod seines Besitzers wurde Cozy in einem Wohnwagen gehalten, wo er durch die räumlichen Einschränkungen laufen und klettern verlernte. Als er im Chimp Eden ankam, erreichte er innerhalb kurzer Zeit seine körperliche Fitness zurück. Es dauerte lange, bis er als vollwertiges Mitglied der Familie akzeptiert wurde, weil er „anders“ war. Aufgrund seines persönlichen, holprigen Starts in der Familie, half er Neuankömmlingen stets dabei, sich in die Gruppe zu integrieren! Was für ein Held!

Cozy liebte Menschen. Und er tat alles, um deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er ging die meiste Zeit auf 2 Beinen, hatte ein schelmisches Grinsen im Gesicht und hatte eine ganz besondere Angewohnheit: Er warf Steine. Große, kleine, mal 17 auf einmal… In regelmäßigen Abständen schrie unser Guide: „DOWN!!!“, wir gingen in Deckung und ne Sekunde später hörte man en Stein an die Aussichtsplattform donnern. Hahaha! Was für ein sympathischer Zeitgenosse. Er tänzelte von einem Bein auf das andere, hielt dauerhaft Blickkontakt zu uns und lieferte eine Show der Extraklasse. Es war kaum zu übersehen, dass Cozy ne Ausbildung in der Entertainment Branche absolviert hatte.

Für mich war der Tag im Chimp Eden ein ganz besonderes Erlebnis. Es war ein Geschenk die sozialen Strukturen innerhalb der Familien zu beobachten und die ganz individuellen Charaktere der Primaten zu erleben. Zudem war dieser Ort das beste Beispiel dafür, dass Patchwork überall funktionieren und unendlich bereichernd sein kann!
Mehr Infos zum Chimp Eden findest du hier: https://www.chimpeden.com/

Unsere Reise geht weiter nach Eswatini (Swasiland)…

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